Wie werden lebende Organismen als Baumaterialien verwendet?

Lebende Organismen revolutionieren die Bauindustrie und eröffnen neue Wege für nachhaltiges und umweltfreundliches Bauen. Während traditionelle Baustoffe wie Beton und Stahl immer noch dominieren, entstehen innovative Materialien, die auf biologischen Prozessen beruhen und damit aktiv CO₂ binden. Die Verbindung von Biotechnologie und Architektur ermöglicht Baumaterialien, die nicht nur tragen, sondern auch Umweltfunktionen erfüllen – wie die Möglichkeit zur Selbstreparatur, CO₂-Speicherung und Umweltanpassung. Diese Entwicklung ist angesichts der globalen Klimakrise und der Verantwortung der Bauindustrie, welche für rund 40 % der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich ist, von immenser Bedeutung. Unsere Städte können künftig mit Lebewesen in den Baustoffen atmen und reagieren. Ein spannender Einblick in die lebendige Zukunft des Bauens, bei der Projekte von der ETH Zürich bis GreenLab Berlin innovative Biohybride aus Cyanobakterien, Myzel oder Hanf entwickeln.

CO₂-bindende lebende Baumaterialien basierend auf Cyanobakterien

Die Forscher:innen der ETH Zürich haben ein neuartiges Baumaterial entwickelt, das auf der Aktivität von Cyanobakterien (Blaualgen) basiert. Diese Mikroorganismen zählen zu den ältesten Lebensformen auf der Erde und sind Meister der Photosynthese. Sie nehmen CO₂ aus der Atmosphäre auf und wandeln es in Biomasse um. Doch das innovative Material der ETH geht deutlich darüber hinaus: Das CO₂ wird doppelt gebunden – einmal als lebende Biomasse der Cyanobakterien und zusätzlich in Form von stabilen Karbonatmineralien wie Kalk, die langfristig Kohlenstoff speichern.

Das Baumaterial basiert auf einem transparenten, wasserreichen Hydrogel, das als Lebensraum für die Cyanobakterien dient. Dieses Polymernetzwerk lässt Licht, CO₂, Wasser und Nährstoffe hindurch und komplimentiert gleichzeitig die Formstabilität des Baustoffs. Dank dieser Porosität und optimierten geometrischen Strukturen, welche die Kapillarkräfte zur Flüssigkeitsverteilung nutzen, bleiben die Mikroorganismen über 400 Tage aktiv.

  • Doppelte Kohlenstoffbindung in Biomasse und Karbonatmineralien
  • Hydrogel als lichtdurchlässiger Lebensraum
  • 3D-Druck-fähige Struktur für individuelle Architekturen
  • Nachweislich höhere CO₂-Speicherleistung als vergleichbare biologische Ansätze

Laborversuche haben gezeigt, dass 1 Gramm dieses Materials rund 26 Milligramm CO₂ binden kann, wobei ein großer Teil mineralisch fixiert wird – eine deutlich bessere Performance als viele andere biobasierte Baustoffe oder sogar Recyclingbeton. Projekte wie die Installation mit drei Meter hohen „CO₂-Fänger“-Skulpturen auf der Architekturbiennale in Venedig demonstrieren das Potenzial bereits im realen Maßstab. Die lebenden Baustoffe erzeugen dabei nicht nur eine grüne Oberfläche durch das Chlorophyll, sondern schaffen außerdem ein aktives Mikroklima, das Temperatur und Luftfeuchtigkeit gezielt unterstützt.

Eigenschaft Beschreibung Vergleich zu traditionellen Baustoffen
Doppelte CO₂-Bindung CO₂ wird in Biomasse und Karbonatmineralien gespeichert Bis zu 26 mg CO₂/g, deutlich mehr als Recyclingbeton (7 mg CO₂/g)
Hydrogel Wasserreich, transparent, fördert Überleben der Cyanobakterien Formstabil und 3D-druckbar, flexibel einsetzbar
Langzeitwirkung Mikroorganismen bleiben >400 Tage aktiv Selbstheilung und Reaktivierung möglich

Biozement und selbstheilender Beton: Unternehmen wie BioMASON und Basilisk verändern die Bauweise

Während nachhaltige lebende Baumaterialien wie das von der ETH Zürich entwickelte Konzept neuartig sind, machen auch Unternehmen wie BioMASON und Basilisk bahnbrechende Fortschritte im Bereich biologisch unterstützter Zemente und Betone. BioMASON produziert biologisch gewachsenen Zement, bei dem Mikroorganismen aus Kohlenstoff und Kalzium eine mineralische Matrix herstellen, ohne dafür fossile Brennstoffe oder hohe Hitze zu benötigen. Dieses Verfahren ist eine Umkehrung des traditionellen Portlandzementprozesses, der große Mengen CO₂ freisetzt.

Basilisk spezialisiert sich auf selbstheilenden Beton, in den spezielle Bakterien eingebettet sind. Diese sogenannten „Spors“ überleben extreme Bedingungen wie Hitze, Trockenheit und Kälte für Jahre. Wenn ein Riss durch Feuchtigkeit aktiviert wird, beginnen die Bakterien zu wachsen und produzieren Kalkstein, der die Risse wieder füllt. Diese Eigenschaft ermöglicht eine verlängerte Lebensdauer des Baumaterials, verringert den Wartungsaufwand und macht den Beton nachhaltiger.

  • BioMASON: Biologisch gewachsener Zement vermeidet fossile Brennstoffe
  • Basilisk: Bakterienbasierter selbstheilender Beton mit erhöhter Haltbarkeit
  • Reduzierung des Materialverbrauchs und der CO₂-Emissionen im Bau
  • Innovative Kombination von traditionellem Beton und biologischen Prozessen

Diese technischen Innovationen adressieren das größte Problem der Bauindustrie: den massiven CO₂-Ausstoß durch Zement und Betonherstellung. Sie zeigen klare Vorteile bei Ökobilanz, Langlebigkeit und Materialeffizienz. Zudem setzen Firmen wie Biomaurer auf Biozemente bei Umgebungstemperatur, um so die Umweltbelastung weiter zu reduzieren.

Unternehmen Technologie Nachhaltigkeitsaspekt
BioMASON Biologisch gewachsener Zement aus Kohlenstoff und Kalzium Reduziert fossile Brennstoffe und CO₂-Emissionen
Basilisk Selbstheilender Beton durch Bakterien Verlängert Lebensdauer, verringert Materialverbrauch
Biomaurer Bio-Zement bei Raumtemperatur Umweltfreundliche Produktion ohne hohe Hitze

Innovative Myzel-basierte und pflanzliche Bio-Baumaterialien im Fokus

Myzel, das faserartige Wurzelgeflecht von Pilzen, gewinnt als nachhaltiger Werkstoff in der Bauindustrie zunehmend an Bedeutung. Unternehmen wie Ecovative, Living Materials UG und MycoWorks nutzen Myzel als Isolationsmaterial oder sogar als strukturelles Element. Das Myzel wird meist auf landwirtschaftlichen Abfällen gezüchtet, was zur Kreislaufwirtschaft beiträgt. Besonders vorteilhaft ist die natürliche Abbaubarkeit und die enthaltenen Chitinanteile, die als Flammschutzmittel dienen.

Ein Experiment von Explosionsstudio in London kombiniert Myzel mit recyceltem Kaffeesatz und nutzt einen 3D-Drucker, um Skulpturen zu fertigen, die anschließend geerntet und sogar als Baumaterial genutzt werden können. Diese lebenden Konstruktionen stellen eine völlig neue Herangehensweise dar: Die Materialien wachsen und lassen sich regenerieren, während sie gleichzeitig die Umweltbelastung niedrig halten.

Auch pflanzliche Materialien wie Hanf gewinnen als Baustoffe Aufmerksamkeit. Hanf bindet CO₂ extrem effektiv, wächst schnell und liefert vielseitige Fasern für Biokunststoffe, Dämmmaterialien und sogar Bewehrungsstahl-Ersatz. Das Rensselaer Polytechnic Institute untersucht Hanf-basierte Bewehrungen, die korrosionsresistent sind und die Lebensdauer von Bauwerken deutlich erhöhen können. Der Einsatz von Hanf bietet damit eine kohlenstoffnegative Alternative zu herkömmlichen Baustoffen wie Stahl und Beton.

  • Myzel als ökologischer Dämmstoff und Baumaterial
  • 3D-Druck von lebendem Myzel als architektonisches Element
  • Hanf als CO₂-senkendes Material mit vielseitigen Anwendungen
  • Verbesserung der Bauwerks-Lebensdauer durch biobasierte Bewehrungen

Die Kombination verschiedenster Bio-Baumaterialien und modernster Technologien eröffnet neue Wege zu einer biotischen Architektur, in der lebende Organismen bewusst in das Design und den Bau integriert werden. Dabei geht es nicht nur um Nachhaltigkeit, sondern um dynamische Baumaterialien, die aktiv mit ihrer Umwelt interagieren.

Herausforderungen und Perspektiven für den großflächigen Einsatz lebender Materialien im Bauwesen

Der Einsatz lebender Organismen als Baumaterial birgt enorme Chancen, bringt aber auch Herausforderungen mit sich. Die Skalierung von Laborversuchen zur industriellen Anwendung verlangt Technik, die auf wechselnde klimatische Bedingungen reagiert. UV-Strahlung, Temperaturschwankungen und Feuchtigkeit können die Lebensfähigkeit der Mikroorganismen beeinflussen.

Die Langzeitpflege der lebenden Mikroorganismen ist noch ein offenes Forschungsfeld: Es gilt zu klären, wie Ausfälle durch Absterben behandelt und ein aktives Wachstum neu aktiviert werden können. Die Sicherheit ist ein weiterer kritischer Punkt – Hersteller müssen sicherstellen, dass keine Gesundheits- oder Umweltgefährdungen vorliegen, gerade bei Einsatz in Innenräumen oder an Fassaden.

Zusammenfassend lassen sich einige Herausforderungen festhalten:

  • Skalierbarkeit und technische Integration in bestehende Gebäude
  • Langlebigkeit und Reaktivierbarkeit der bioaktiven Organismen
  • Sicherheits- und Umweltaspekte, um Unbedenklichkeit zu garantieren
  • Wirtschaftlichkeit und Marktdurchdringung trotz höherer Anschaffungskosten

Forschungsinstitute wie das Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Verbundprojekte mit Arup Deutschland oder Start-ups wie Blumio und BioConstruct arbeiten interdisziplinär an Lösungen, die Materialeigenschaften, Mikroorganismen sowie digitale Sensorik verbinden. So könnten in der Zukunft lebende Baustoffe mit automatischer Umweltkontrolle entstehen, die auf Licht, Feuchtigkeit und Schadstoffe reagieren und so eine aktive Klimaregulierung ermöglichen.

Vergleichstabelle: Lebende Organismen als Baumaterialien

Interaktiver Vergleich von Biozement, selbstheilendem Beton und lebendem Hydrogel anhand wichtiger Eigenschaften.

Eigenschaft Biozement (BioMASON) Selbstheilender Beton (Basilisk) Lebendes Hydrogel (ETH Zürich)

Tipp: Klicken Sie auf die Spaltenüberschriften, um zu sortieren. Nutzen Sie die Filterbox, um Eigenschaften zu suchen.

Wissenswertes – Fragen rund um lebende Baumaterialien

Wie unterscheiden sich lebende Baumaterialien von herkömmlichen Baustoffen?
Lebende Baumaterialien enthalten aktive Organismen, die biologische Prozesse wie Photosynthese und Mineralbildung ausführen. Herkömmliche Baustoffe sind statisch und beeinflussen nicht die Umwelt.

Können lebende Materialien im Freien lange überdauern?
Mit optimierten Trägermaterialien und Schutzmechanismen können Mikroorganismen über Monate bis Jahre aktiv bleiben. Die Forschung zu UV-Schutz und Temperaturresistenz ist dabei zentral.

Welche Rolle spielen BioMASON, Ecovative und GreenLab Berlin?
Diese Unternehmen und Forschungslabore sind führend in der Entwicklung und Kommerzialisierung lebender und biobasierter Baumaterialien, die nachhaltiges Bauen fördern.

Wie nachhaltig sind Myzel- und Hanf-Baumaterialien?
Myzel- und Hanf-Materialien stammen aus nachwachsenden Rohstoffen, sind biologisch abbaubar und haben meist eine sehr günstige CO₂-Bilanz durch deren Wachstumsphase.

Welche technologischen Entwicklungen werden die Zukunft lebender Materialien prägen?
Integration von Sensorik, Regenerationsfähigkeit, automatisierte Umweltsteuerung und digitale Fertigungsmethoden wie 3D-Druck werden die Nutzung lebender Baumaterialien erleichtern und verbessern.

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